Werkschau: Blind Guardian

Verfasst am 01. November 2019 von Michael Klein (Kategorie: Stimmen der Szene) — 2.541 views

Mit „Legacy Of The Dark Lands“ erscheint diesen Monat ein Orchesterwerk, an dem Blind Guardian mehr als 20 Jahre lang gearbeitet haben. Ob es sich aus als Krönung des Schaffens in die Discografie der Band einreihen wird, werden wir in Kürze wissen.

Bis dahin haben wir das bisherige Schaffen der Band genau unter die Lupe genommen und uns für die Bewertungen Unterstützung von Minotaurus-Sänger Olli sowie unserem guten Freund und Blind-Guardian-Kenner Sebastian eingeholt.
Das Ergebnis ist dabei zumindest auf den vorderen Rängen nicht wirklich überraschend, bietet aber auf den mittleren und hinteren Rängen Platz für Diskussionen. Ist „Beyond the Red Mirror“ wirklich das drittschlechteste Album der Krefelder? Und „A Night at the Opera“ wirklich besser als „Follow the Blind“? Was sagt ihr dazu? Lasst es uns wissen!

Hier ist unser Ergebnis:

1. Imaginations from the Other Side (1995) – 14,50 Punkte

Es war ein Kopf-an-Kopf-Rennen und es ist eigentlich auch beinahe mühselig, darüber zu diskutieren, ob nun „Nightfall In Middle-Earth“ oder eben „Imaginations From The Other Side“ das beste Blind-Guardian-Album ist. Fakt ist, dass beide Alben monumentale Werke sind, die ein ganzes Genre mit ihrer Qualität überstrahlen.
In unserer Runde hat „Imaginations From The Other Side“ die Nase einen Hauch weiter vorne – was ich persönlich genau so sehe. „Nightfall…“ mag das konzeptionell ausgefeiltere und produktionstechnisch aufwändigere Album sein, doch „Imaginations…“ bringt den Sound Blind Guardians eben zu 101% auf den Punkt. Neun Songs, Neun Volltreffer. Für mich bis heute das beste Power-Metal-Album aller Zeiten!
Perfekter als hier haben Blind Guardian nie mehr geklungen. Dass ausnahmslos ALLE Stücke nach wie vor zum Live-Repertoire zählen, spricht Bände. (mk)


2. Nightfall in Middle-Earth (1998) – 14,33 Punkte

Nightfall in Middle-Earth ist das meiner Meinung nach beste Blind Guardian Album und vermutlich eines der besten Metal-Alben, die je geschrieben wurden. Die Krefelder schaffen es hier die Thematik des Silmarillions von Tolkien brillant zu vertonen. Dabei packen sie alles an, was ihr musikalisches Genre anbietet, wodurch eine extreme Abwechslung entsteht. Die kurzen Tracks zwischen den eigentlichen Songs verdichten die Atmosphäre und verstärken das Storytelling und wenn das Intro live gespielt wird, sprechen es die Fans komplett nach. Welches Intro hat das bis jetzt geschafft?
Eigentlich muss man nur „Into the Storm“, „Nightfall“, „Mirror Mirror“ oder „Noldor (Dead Winter Reigns) erwähnen und es wird klar, dass die Scheibe nicht nur starke Hits hat, sondern auch extrem abwechslungsreich ist. Speed Metal Riffs paaren sich mit hymnischen Choreinlagen und natürlich exzellenten Melodien, die man nur mitsingen kann. Gesangsarbeit, Bass, Gitarren, Schlagzeug, Samples. Es stimmt einfach alles.
Nightfall in Middle-Earth ist und bleibt das Bollwerk des epischen Power/Speed-Metals, an dem sich alle anderen Bands messen müssen und es ist bis heute das Album an der Spitze. (mat)


3. Somewhere Far Beyond (1992) – 13,50 Punkte

Als ich Anfang der 90er den Metal für mich entdeckte, wusste ich nicht einmal, dass es Metal heißt. Alles, was ich hatte, war eine Handvoll überspielter Kassetten in recht ausbaufähiger Aufnahmequalität. Und auf einer von diesen befand sich „Somewhere Far Beyond“, nebst einer nach Gehör dahingekrakelten Liste der Songtitel. Selbst wenn ich die Lyrics gehabt hätte, hätte ich deren Inhalt mangels Englischkenntnissen nur erahnen können. Aber trotz dieser widrigen Bedingungen packte mich Blind Guardian damals wie seitdem kaum eine andere Band. Denn auch ohne die Texte oder Andreas Marschalls geniales Coverartwork entstanden vor meinem inneren Auge Elben, Barden und Traumwelten, allein durch die Musik. Wenn bei „Time What Is Time“ nach dem fremdartigen Intro ein schroffes Thrash-Brett über mich hereinbricht, um gleich wieder einem eigentümlich atmosphärischen Gitarrenlauf und Hansis unverwechselbaren Vocals zu weichen, bekomme ich noch heute Gänsehaut. Mit seinen Tempowechseln und kunstvoll komponierten Melodien gibt der Opener auch den Kurs für den Rest des Albums vor: Vom ähnlich majestätischen „Journey Tthrough The Dark“ über das düstere „Ashes To Ashes“ und die magischen „Bard’s Songs“ bis zum epischen Titeltrack (um nur meine absoluten Favoriten zu nennen) haben die Krefelder etwas geschaffen, das in der Tat irgendwo weit jenseits anzusiedeln ist. Einzig den Dudelsack und die Coverversionen hätte es meiner Meinung nach nicht gebraucht, doch angesichts der überragenden Qualität der Scheibe verbietet sich jede Mäkelei. Mit diesem Album haben Blind Guardian nicht nur für sich selbst, sondern für das ganze Genre die Maßstäbe gesetzt. Denn mag der Sound später noch bombastischer, die Spielweise ausgefeilter oder der Gesang professioneller geworden sein – „Somewhere Far Beyond“ wäre unter heutigen Bedingungen nicht besser gelungen. Vielleicht sogar im Gegenteil: Gerade durch das etwas rauere Gewand schimmern ein paar der schönsten Songs, die der Metal je hervorgebracht hat, umso heller durch. Und dieser Zauber hat sich auch nach bald drei Jahrzehnten nicht verbraucht. Mir fallen nur wenige Alben ein, über die ich etwas Ähnliches sagen könnte. (Gastautor: Sebastian Albert)


4. At the Edge of Time (2010) – 12,83 Punkte

Zurück zu alter Form – so könnte man „At The Edge Of Time“ beschreiben. Weg von der basischem Songwriting, hin zu ausladenderen Kompositionen. Die überlangen „Sacret Worlds“ und „Wheel Of Time“ rahmen das Werk ein und bilden gleichzeitig die Höhepunkte der Scheibe. Im Stile voriger Epen schaffen es die Krefelder hier trotz 10minütiger Spielzeit nicht auszufransen und stets songdienlich zu agieren. Ein Kunststück, dass bei solchen Nummern oft schiefgeht. Dazwischen stehen mit „Ride Into Obsession“, „Valkyries“ oder „A Voice In The Dark“ Tracks, die sich auf einem hohen Niveau einpendeln und zu starkem Guardian-Material gezählt werden können, aber etwas kürzer gehalten sind. Mit „Curse My Name“ und „War Of The Thrones“ lockert man das Album folkig auf und schafft so Abwechslung zwischen all den thrashig angehauchten Metaltracks. Insgeesamt starkes Werk, bei dem die Mischung zwischen Epik und Eingängigkeit absolut in Waage ist. (ms)


5. Tales from the Twilight World (1990) – 12,50 Punkte

Wir schreiben das Jahr 1990. Ein Jahr nach dem Release von „Follow The Blind“ sollte bereits der Nachfolger „Tales From The Twilight World“ erscheinen. So stellt dieses Album doch das erste große Machtwerk der Krefelder dar. Man zeigt von Anfang, dass man mittlerweile dazu gelernt hat. Die Songs sind verspielter und werden vielschichtiger. Man fängt auch an die ersten „epischen“ Elemente einzubauen wie z.B. in „Welcome To Dying“. Man bekommt daher schon einen Ausblick was einen die nächsten Jahre erwarten würde. Einen Song sollte man besonders hervorheben: „Lord Of The Rings“. So ist es doch die erste große Ballade dieser Band, die jedem Anhänger und Konzertbesucher Gänsehaut beschert ob. Ob daheim auf der Couch oder Live bei einem Konzert. Summa Summarum haben wir es mit einem Hit-gespicktem Klassiker zu tun, der in keiner Sammlung fehlen sollte. (san)


6. A Night at the Opera (2002) – 10,60 Punkte

„Überproduziert“ und „überambitioniert“ sind bei vielen die ersten Worte, die ihnen einfallen, wenn sie „A Night at the Opera“ hören und sie haben durchaus Recht. Allerdings ist das Album dadurch leider auch unterbewertet, denn die Songs sind auf einem sehr hohen Niveau, das Blind Guardian gerecht wird. Beispielsweise überzeugt der Opener „Precious Jerusalem“ durch hohe Dynamik starke Rhythmen und eingängige Melodien. Das Album führt diesen Weg dann auch konsequent fort und bestreitet diesen abwechslungsreich und kreativ bis hin zum 14-minütigen Zentralwerk „And Then There Was Silence“. Hier gipfelt die Platte in einem Song, der nochmal die Stärken und Schwächen des Silberlings betont: Starkes Songwriting, fettes Riffing, Melodien, die im Ohr hängen bleiben, aber auch übertriebene Chöre und eine Produktion auf Anschlag. Für mich ist „A Night at the Opera“ ein Werk, das sie erst acht Jahre später mit „At the Edge of Time“ schafften wirklich zu schreiben. Dennoch ist es ein starkes Blind Guardian Album! (mat)


7. Follow the Blind (1989) – 9,83 Punkte

Nachdem man 1988 mit dem Release von „Battalions Of Fear“ auf sich aufmerksam machen konnte, kam 1989 direkt der Nachfolger im Namen von „Follow The Blind“. Die Platte ist aus heutiger Sicht mit so manchem Klassiker und mancher Live-Hymne gespickt, die bei einem Blind Guardian Konzert nicht fehlen darf. Allen voran „Valhalla“. Auch Songs wie „Majesty“ oder „Banish From Sanctuary“ sollten jedem Fan heutzutage bekannt sein. Dennoch beinhaltet die Platte leider auch einige Songs, die den Test der Zeit nicht überlebten.
So fallen Songs wie das Demon-Cover „Don’t Break The Circle“ oder auch „Beyond The Ice“ hinten herunter, da sie auf Dauer nicht gegen die Qualität späterer Releases ankommen. Dennoch sind sie für ihre Zeit immer noch gute Songs, die Power mit sich bringen und man im Hinterkopf behalten sollte. (san)


8. Beyond the Red Mirror 2015 9,60 Punkte

Das bis dato aktuellste Werk „Beyond the Red Mirror“ schafft es in unserem Ranking nur auf den achten Platz. Das mag den ein oder anderen vielleicht verwundern, doch bei genauerem Hinhören fällt auf, wie überambitioniert das Songwriting der Platte ausgefallen ist. Bereits der Opener „The Ninth Wave“ erschlägt mit bombastischem Filmsoundtrack-Intro, fast zehn Minuten an Spielzeit und einem viel zu vollen Gesamtsound. Der Refrain wird gefühlt von 30 Stimmen gesungen und die Gitarren werden immer wieder fast vollständig von Streichern und Orchesterklängen überlagert. Und auch über den weiteren Verlauf der Platte wirkt es, als wollten Guardian hier auf Biegen und Brechen „viel“ unterbringen. Doch die Masse an Elementen ist zu oft kaum greifbar, das Album wirkt überproduziert und zu wenig fokussiert. In dieser Klangwand stechen „Ashes of Eternity“ und „The Holy Grail“ als echte Headbanger heraus. Sie zeigen auf, dass eine sparsamer verteilte Schicht Bombast der Platte deutlich besser gestanden hätte. (sz)


9. Battalions of Fear (1988) – 9,20 Punkte

Das Debüt. Der Opener „Majesty“ (Oooooooooh-oh-oh – Majesty!) wird immer noch lautstark auf Konzerten von hunderten Kehlen mitgebrüllt – und auch der Rest wird von einigen abgöttisch verehrt. Trotzdem reicht es „nur“ für Platz 9 von 10. Woran liegt´s? Ganz einfach: Trotz Nostalgie-Bonus sind die anderen Alben einfach besser.
„Battalions of Fear“ mag 1988 in der deutschen Metal-Szene ein Ausnahmealbum gewesen sein und hat dem Status von Blind Guardian zu Recht ein solides Fundament gegossen. Doch die Band hat in den kommenden Jahren einfach so ziemlich alles was auf dem Debüt zu hören ist noch deutlich besser hinbekommen. Demnach also keine allzu große Überraschung, dass heute („Majesty“ ausgenommen“) so ziemlich kein einziger Song von „Battalions of Fear“ noch auf irgendeiner Live-Setlist auftaucht. (mk)


10. A Twist in the Myth (2006) – 7,83 Punkte

Nun, wenn ein Werk aus der Reihe fällt, so ist das „A Twist In A Myth“. Mit Neu-Schlagzeuger Frederik Ehmke an Bord versucht man sich an modernem, kompakten Songwriting und einem modernen Sound. Beides geht nach hinten los. Einzig „Otherland“ und „Fly“ können überzeugen und bleiben im Ohr, alle anderen Nummern entpuppen sich nach mehreren Durchläufen als Rohrkrepierer. Gerade die zweite Hälfte enthält mit „Lionheart“ oder „The New Order“ Tracks, die es nicht mal als „Albumtracks“ auf die früheren Alben geschafft hätten. Vom Hard Rocker „Another Stranger Me“ fühle ich mich persönlich beleidigt. Mit „Skalds And Shadows“ versucht man sich an der obligatorischen Ballade. Diese plätschert aber so nichtssagend am Hörer vorbei wie keine davor oder danach. Am Ende steht so das mit weitem Abstand schlechteste Album der Barden. Gut, dass diese Scheibe selbst als Experiment abgehakt wurde und man wieder zum „klassischen“ Stil zurückgekehrt ist. (ms)


Wenn euch Blind Guardian gefällt, checkt mal folgende Regio-Bands an: Minotaurus, Thornbridge, Elvenpath, Dragonsfire, Illusoria

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