Ländliche Intuition
Verfasst am 28. Juni 2011 von Michael Klein (Kategorie: Interviews) — 3.604 viewsLazuli erzählen vom neuen Album
Längst haben sich die französischen Lazuli in Szenekreisen zu regelrechten Lieblingen entwickelt. Kein Wunder – schließlich war und ist die Truppe um die Gebrüder Leonetti für magische, spannende und faszinierende Shows und ebenso tolle CDs bekannt. Mit dem kryptisch betitelten „(4603 Battements)“ wurde jüngst die erste – von Fans heiß erwartete – Scheibe nach dem bedeutenden Line-Up-Wechsel – Sylvain Bayol (Chapman Stick, Warr Guitar), Frédéric Juan (Percussion, Marimba, Vibraphon) und Yohan Simeon (Marimba, Metallophon) verließen die Band – aufgenommen und veröffentlicht.
Metal-Aschaffenburgs Tim unterhielt sich mit Sänger Dominique…
Metal-Aschaffenburg: Hallo Domi! „(4603 Battements)“ ist das erste Album im „neuen“ Lazuli-Line-Up. Wie groß waren die Unterschiede in Punkto Songwriting und Recording im Vergleich zu den vorherigen Alben?
Dominic Leonetti: Sehr groß! Wir haben wesentlich schneller aufgenommen. Es gab weniger essentielle Fragen, weniger Konfrontationen, weniger Kompromisse und eine wirklich gute Stimmung innerhalb der Band. Wir haben alle an einem Strang gezogen. Die Aufnahmen waren deutlich gelassener als zuvor. Vincent (Barnavol, Schlagzeug und Percussion – Red.) und Roman (Thorel, Keyboard und Waldhorn – Red.) – die beiden Neuen – haben neue Farben eingebracht, ohne die Identität von Lazuli zu gefährden.
Was das komponieren angeht, arbeite ich nach wie vor alleine. Mit dem Unterschied, dass sich diesmal zuerst die Texte und erst danach die Musik dazu geschrieben habe. Die Einbindung der Musiker in Konstruktion und Arrangements war diesmal aber sehr wichtig und verlief wesentlich einfacher als zuvor. Jeder hat etwas Farbe, Ideen und Seele in die Stücke eingebracht.
Claus Berninger vom Colos-Saal hat mir mal erzählt, dass eine Hälfte von Lazuli in einem großen, alten Landgut lebt und dort ein eigenes Studio installiert hat. Stimmt das? Habt ihr dort auch „(4603 Battements)“ aufgenommen?
Ja, Claude, Ged (Gédéric Byar, Gitarre – Red.) und ich leben auf der gleichen Farm. Jedem gehört dort ein eigener Teil auf dem er mit seiner Familie lebt. Wir wohnen dort unabhängig voneinander, teilen aber viele Dinge miteinander. Wir haben wie alle anderen Alben zuvor – auch „(4603 Battements)“ in unserem I’Abeillerôde genannten Studio aufgenommen. Es ist in einer alten Scheune untergebracht, die wir selbst umgebaut haben. So sind wir in gewisser Weise sogar Handwerker.
Das klingt ja wirklich fantastisch. Und sicher ist die ländliche Gegend dort ein großer Einfluss auf den urtypischen Sound von Lazuli.
Ihr habt „(4603 Battements)“ auch erneut komplett in Eigenregie finanziert. Gibt es denn keine Plattenfirma, die an Lazuli interessiert ist bzw. keine Plattenfirma, an der ihr interessiert seid?
Wir scheuen nicht mehr danach. Es gab zwar Angebote – aber die vergangenen Erfahrungen in Frankreich waren desaströs. Wir arbeiten jetzt lieber mit verschiedenen Vertrieben. Wenn wir irgendwann eine gute und ehrliche Plattenfirma finden… wer weiß. Derzeit sind wir lieber – auch wenn es komplizierter ist – frei.
Ich spreche kein Französisch – glaube aber zu erkennen, dass es sich bei „(4603 Battements)“ um ein Konzept handelt, bei dem es in irgendeiner Form um „Zeit“ geht. Liege ich damit richtig?
Ja – du hast recht! Das Thema des Albums ist „Zeit“ – allerdings mit der Doppeldeutigkeit von „Battements“, was im Französischen z. B. Herzschlag, Flügelschlag oder Uhrticken bedeuten kann. Ich finde es toll, dass jeder den Titel in einer anderen Weise interpretiert. Der wirkliche Hintergrund ist, dass auf dem Album genau 4603 Schläge zu hören sind. Ja, ich habe sie tatsächlich alle gezählt, haha.
Der Titel ist einfach schöner als „48 Minuten“ und macht deutlich, dass wenn man Musik hört, die Zeit als solche dehnbar und variabel wird.
Jeder Song ist dann aber an sich unabhängig. Der Überbegriff „Zeit“ dient dabei als Vorlage, um über verschiedene Sachen zu erzählen. Es geht um Songs über mich, über Menschen, um Fehler, unsere Dummheiten, unsere Schwächen und unsere Ängste, aber auch um unsere Fähigkeit zu lieben. Die Texte sind oft ein wenig düster, poetisch und melancholisch und voll mit Metaphern und Wortspielen – was es auch schwer macht, diese zu übersetzen.
Ich finde das ungewöhnliche Artwork äußerst gelungen. Es ist wesentlich klarer und sehr reduziert, passt aber perfekt. Wie seid ihr auf diese Idee gekommen?
Vielen Dank! Es gefällt nicht jedem. Es war unsere erste Idee und diese hat sich gut angefühlt, obwohl ich nicht genau sagen kann, warum. Alles auf diesem Album ist intuitiver als zuvor. Ich denke, das Artwork sagt mit wenig viel aus. Es ist unser „Black Album“, haha.
Zu Aschaffenburg – und insbesondere zum Colos-Saal – habt ihr ja eine ganz besondere Beziehung, stimmt’s?
Oh ja! Es gibt so viel zu erzählen über den Colos-Saal und Aschaffenburg! Martin Hofmann vom Musik Service hat uns eines Tages in der Schweiz spielen sehen und uns gleich Claus vom Colos-Saal empfohlen. Claus hat an unsere Musik geglaubt und ist das Risiko eingegangen, Lazuli zu buchen. Das war sehr waghalsig und mutig. In Deutschland wurden wir in Aschaffenburg geboren. Und unser Geburtshelfer war Claus Berninger, haha.
Die Fans in Aschaffenburg haben uns geholfen, unsere ersten Schritte in Deutschland zu machen. Seitdem gibt es eine besondere Verbindung zwischen uns. Es ist unser Lieblingspublikum und unser Lieblingsclub. Die deutschen Fans sind außerdem generell die offensten und aufmerksamsten, die ich kenne. Wir haben schon an vielen Orten der Welt gespielt, aber der Colos-Saal ist für unser Herz ein ganz besonderer Ort. Und das meine ich aufrichtig! Ich hoffe, wir kommen bald zurück.
Zuletzt haben wir von Metal-Aschaffenburg euch u.a. auch in Mainz zusammen mit Riverside gesehen, wo ihr als Support dabei wart. Wie war diese Tour aus eurer Sicht?
Es hat fast alles perfekt zusammengepasst – bis auf die Sprache, haha. Es war schwierig zu kommunizieren, weil unser Englisch nicht gerade besser ist als unser Polnisch. Aber es war wirklich großartig. Ich liebe die Musik von Riverside und es war eine große Freude, ihre Auftritte zu eröffnen. Vielleicht klappt es irgendwann noch einmal.
Das wäre toll, denn zwischen beiden Bands gibt es sicher eine große Schnittmenge gemeinsamer Fans. Auch wenn die Musik von Lazuli in ihrer Art sicher einzigartig ist. Was inspiriert euch, diese Art von Musik zu machen?
Vielen Dank! Ich verstehe das Wort „einzigartig“ als großes Kompliment! Nun – wir hören alle möglichen Arten Musik: Rock, Pop, Prog Rock, World Music und Metal (unser Drummer Vincent spielt auch in der exzellenten französichen Metal-Band: HORD). Von AC/DC bis Sting, von Pink Floyd bis Björk, von Thom York bis Serj Tankian. Meine persönlichen Favoriten sind die Beatles und Peter Gabriel. Was mich aber am meisten inspiriert sind das Kino, das Leben und Literatur. Zumeist haben Worte mehr Einfluss auf meine Kompositionen als Musik.
Das erklärt die immer innewohnende, verklärte Verträumtheit dieser ungewöhnlichen und unbedingt hörenswerten Band.
Vielen Dank Domi für das kleine Interview!
Vielen Dank meinerseits!
(mk)
Tags: (4603 Battements), Lazuli
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