Der Ruf der Wüste
Verfasst am 20. August 2010 von Michael Klein (Kategorie: Interviews) — 4.445 viewsEin Interview mit Myrath
Die Augen Europas und der westlichen Welt sind (mit Ausnahme des Metal-Etablierten Südamerikas) fast ausschließlich auf die aus den eigenen Ländern stammenden Bands gerichtet.
Man könnte manchmal fast annehmen, dass eine seltsame Form von unsichtbaren Scheuklappen den Blick über die eigenen Grenzen hinaus verhindert.
Es braucht immer einzelne Ausreißer, um das Augenmerk auf sonst als eher unmetallisch abgestempelte Regionen zu lenken. Jüngst sind es vor allem Bands aus den arabischen Ländern, die gehörig aufhorchen lassen. Nervecell, Amaseffer oder Orphaned Land sind der lebendige Beweis für diese These.
Es müsste schon mit dem Teufel zugehen, wenn nicht auch bald die Tunesier von Myrath im gleichen Atemzug genannt werden. Denn was diese Truppe mit ihrem aktuellen Album „Desert Call“ abgeliefert haben, braucht absolut keinen Vergleich mit den Outputs von Prog-Metal-Koryphäen wie Dream Theater oder Symphony X zu scheuen! Im Gegenteil: Durch die Verquickung mit den arabisch-orientalischen Wurzeln ergibt dies eine unwiderstehliche, süchtig machende Mischung, die man so schnell nicht mehr aus dem Ohr bekommt.
Mehr als genug Gründe für Metal-Aschaffenburg, Gitarrist Malek Ben Arbia zum Gespräch zu zitieren…
Metal-Aschaffenburg: Hallo Malek! Für alle, die Myrath nicht kennen: Beschreibe doch bitte kurz, um was für eine Band es sich bei euch handelt!
Malek Ben Arbia: Myrath ist eine aufstrebende Metal-Band aus Tunis, Tunesien – einem kleinen Urlaubsland, dass bei euch ganz sicher mehr für seine schöne Mittelmeerküste als für Metal bekannt ist.
Wir haben 2001 als Teenager mit einer Cover-Band angefangen (ich war damals gerade einmal 13 Jahre alt) und uns bis jetzt zu einer international immer mehr geachteten Prog-Power-Metal hochgearbeitet.
Nach vier Jahren im Zeichen von Coversongs unserer Lieblingsbands (vor allem Death und Symphony X) haben wir in unserem Heimatland unser erstes selbst produziertes Album „Double Face“ veröffentlicht. Der Wendepunkt für Myrath kam dann beim gemeinsamen Auftritt mit Adagio und Robert Plant beim „Mediterranean Guitar Festival“ im März 2006. Dort lernten wir Kevin Codfert kennen – den Keyboarder und Produzenten von Adagio. Kevin hat später unser offizielles Debüt „Hope“ produziert, welches 2007 vom kleinen französischen Label Brennus Music weltweit vertrieben wurde und uns damals durchaus einige gute Kritiken beschert hat. Im Februar 2010 erschien dann endlich nach langer Produktionszeit der Nachfolger „Desert Call“. Seitdem ist unser Fankreis erheblich gewachsen!
Kein Wunder! Das Album zählt für mich zu einem der besten Outputs des Genres der letzten Jahre – und liegt annähernd auf Augenhöhe mit Meisterwerken wie Beispielsweise Symphony Xs „Paradise Lost“. Wie ist es entstanden?
Die Hauptintention war, uns noch mehr auf diese typisch tunesischen Melodien und arabischen Skalen zu konzentrieren, um unseren eigenen Stil zu perfektionieren und uns gleichzeitig von unseren Einflüssen abzuheben.
Als unser Sänger Zaher Zorgati im Sommer 2007 der Band beitrat, hatten wir dann auch den geeigneten – weil vielseitigen – Mann am Mikrofon, um diesen Anteil noch gefühlvoller und melodiöser zu transportieren, ohne gleichzeitig die kraftvolle Metal-Seite zu vernachlässigen.
Dabei entsteht diese Verschmelzung der beiden Welten bei uns immer auf eine natürliche Weise – eben weil wir ja genau in diesem arabischen Umfeld aufwachsen sind. Die Musik, die wir erschaffen, kommt immer aus unserem Herzen und wird nie künstlich konstruiert. Alle Songs entstehen bei Myrath im Teamwork. Elyes (Bouchoucha, Keyboarder – Anm. d. Red.), Zaher und ich komponieren das Grundgerüst, zu dem alle anderen Bandmitglieder ihren Teil beitragen.
Wie sieht dies bei den Texten aus?
Für die Texte zeichnet sich unser Freund Aymen Jaouadi verantwortlich. Wenn ein Stück fertig komponiert ist, lassen wir Aymen in Worten ausdrücken, zu was ihn die Musik inspiriert. Generell handeln die Texte zumeist von der Gesellschaft und deren Hoffnungen sowie deren Ängsten in politische oder religiöse Konflikte zu geraten.
Auf „Desert Call“ ist eine Vielzahl an orientalischen Instrumenten zu hören. Wie habt ihr diese denn eingespielt?
Für das Studio haben wir professionelle Session-Musiker angeheuert – wobei das hauptsächlich für die Flöten und ein wenig Darbouka (ein tunesisches Percussion-Instrument – Anm. d. Red.) gilt. Den größten Teil Darbouka hat unser Drummer Seifeddine Louhibi selbst eingespielt.
Ist es nicht schwer, euren Percussion-lastigen Sound live umzusetzen?
Nun, wir haben das Album schon live gespielt und jeder der Anwesenden wird versichern können, dass das kein Problem ist. Elyes, unser Keyboarder, hat hart gearbeitet, um alle orientalischen Parts, die auf dem Album zu hören sind, auch live auf seinem Instrument wiederzugeben.
Der durchschnittliche Europäische Metal-Fan hat jeden Monat die Wahl zwischen dutzenden neuen CDs, diversen Konzerten und vielen Magazinen. Von Festivals und Co. ganz zu schweigen.
Wie muss man sich denn die Metal-Szene in Tunesien vorstellen?
Die Metal-Szene ist in Tunesien immer noch sehr undergroundig – genau wie in Marokko, Algerien und allen anderen nordafrikanischen Ländern. Es gibt aber eine ganze Menge Metal-Bands und Metalheads, die – wie in anderen Ländern auch – die gleiche Passion für Metal teilen – egal woher jemand kommt oder welcher Religion er angehört. Sie Teilen alle die gleichen Werte.
In vielen arabischen Ländern bekommt man als Metal-Fan Probleme. Gibt es in Tunesien ähnliche Einschränkungen für Fans der härteren Gangart?
Tunesien ist als friedliches Urlaubsland anderen Kulturen gegenüber sehr aufgeschlossen und im Vergleich mit vielen anderen Ländern dadurch auch in Bezug auf Heavy Metal sehr locker und offen. Im nationalen Radio Zanzana gibt es sogar eine wöchentliche Metal-Sendung, die man auch außerhalb Tunesiens streamen kann (www.Zanzana.net).
Und sogar ein eigenes Festival.
Ja, auf dem jährlichen, bereits angesprochenen „Mediterranean Guitar Festival“ in unserer Hauptstadt Tunis haben in den letzten Jahren schon Bands wie Robert Plant, Adagio, Bertignac, Epica, Fire Wind, After Forever and Haggard gespielt.
Außerdem haben wir einige sehr aktive tunesische Webzines wie z.B. Zanzana, Metal-Waves und Sombrearcane, die die lokale und internationale Szene unterstützen.
Das klingt ja durchaus nach einer regen und aktiven Szene. Warum hört man trotzdem so wenig von tunesischen Metal-Bands?
Auch wenn sich das ganz positiv anhört, tun sich die Bands hier schwer, ihre Musik über die Grenze hinaus bekannt zu machen. Hauptsächlich wegen des Mangels an fähigen Produzenten, Sponsoren und der fehlenden Unterstützung der lokalen Medien. Die Metal-Community ist hier eben doch verhältnismäßig klein. Deshalb sind wir mit Myrath auch sehr froh, so viel Feedback aus Europa und den USA zu bekommen.
Da muss das Internet für viele Bands ja ein Segen sein.
Ja und Nein. Viele Bands haben so zwar die Möglichkeit, sich online zu präsentieren. Die Möglichkeit live zu spielen scheitert jedoch oft an finanziellen oder bürokratischen Hürden – also Problemen mit den Visas.
In diesem Zusammenhang möchten wir uns nochmals in aller Form bei der belgischen Botschaft bedanken, die allen Myrath-Bandmitgliedern Langzeit-Schengen-Visas ausgestellt hat. Damit ist es um ein vielfaches leichter international Konzerte und Festival zu spielen.
Wird man denn Myrath dieses Jahr noch live bewundern können?
Wir arbeiten gerade im Moment an den Europa-Tourdaten für September. Die genauen Daten werden bald bekannt gegeben. Außerdem spielen wir im Oktober auf dem „Prog Power Europe 2010“ im holländischen Baarlo. Wir verhandeln auch über einige Angebote von anderen europäischen Festivals.
Gute Ausssichten Myrath dieses Jahr noch live erleben zu können. Diese Chance sollte sich kein Progressive-Metal-Fan entgehen lassen!
Vielen Dank für das Interview!
Ich habe zu danken! Danke für das Interview und die wertvolle Möglichkeit, dadurch den Namen Myrath etwas bekannter zu machen.
(mk)
Tags: Desert Call, Myrath
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