Diary About My Nightmares
Verfasst am 28. Juli 2013 von Michael Klein (Kategorie: Interviews) — 3.040 viewsDie Zeit ist reif
Kreuzleser werden vielleicht feststellen: Dieses Interview habe ich ursprünglich für unsere Kollegen vom Totentanz Magazin geführt.
Weil deren Kopf Arno aber der gleichen Meinung ist wie ich – gute Underground-Bands sollen so viel Promo bekommen wie möglich – erscheint das überaus lesenswerte Gespräch mit Diary About My Nightmares-Sängerin Toni nun auch hier.
Ach ja – und falls es nicht deutlich genug herauskommt. Hört euch verdammt nochmal „The Mean Hour“ an. Das Teil knallt!
Metal Aschaffenburg: Hi Toni! Vielen Dank, dass du dir etwas Zeit für das Interview nimmst!
Toni: Danke, dass Du Dir die Zeit nimmst! Ich hatte gerade 2 Wochen Urlaub und war neben Verreisen mit Arbeiten am Haus beschäftigt.
Zuerst Mal herzlichen Glückwunsch zu „The Mean Hour“! Das Teil ist wirklich Klasse geworden!
Meine eindeutigen Faves sind „Deliverance“ und „Special Needs“. Gute Wahl, oder?
Toni: Danke für das nette Kompliment und definitiv! Ich mag die beiden Songs auch sehr, auch wenn ich alle mag, sonst wären sie ja nicht auf der Scheibe gelandet, hehe. „Deliverance“ war ganz nebenbei der erste Song, den wir fertig hatten und live macht der auch viel Freude! Bei „Special Needs“ wird mir die Luft zu knapp, wenn ich alles singen soll, da habe ich eine Liveversion, die mein Überleben sichert.
Ich finde, ihr habt einen ordentlichen Schritt von „Forbidden Anger“ zu „The Mean Hour“ gemacht. Der aktuelle Silberling klingt kompakter, schlüssiger und (auf eure Stärken) fokussierter. Seht ihr das auch so?
Toni: Ach, danke, danke! Ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass es bewusst geplant war, die Scheibe so zu machen. Ich denke, es ist eine ganz natürliche Entwicklung, dass man immer mehr seine Stärken erkennt und einfach mehr Gefühl für das Songwriting und „seine“ Musik entwickelt. Das soll auf keinen Fall bedeuten, dass wir unsere alten Sachen nicht mögen oder für schlechter empfinden, aber sicherlich würden wir die alten Scheiben so heute nicht mehr machen. Aber wie gesagt, das halte ich für ganz normal. Und ich stimme Dir in allen Punkten zu. Wir hatten schon von „Vermächtnis“ zu „Forbidden Anger“ einen Schritt in diese Richtung gemacht, aber jetzt waren es mindestens zwei, haha.
Auch das Coverartwork gefällt mir deutlich besser als das vorherige. Was soll denn das Werk ausdrücken?
Toni: Nun, es passt erstmal wunderbar zum Titel. Wir hatten das Cover schon, bevor wir überhaupt mit dem alten Album angefangen hatten (ohne jetzt das Album nach dem Cover konzipiert zu haben) und mussten es einfach verwenden. Das wurde von einem Freund von uns gezeichnet und mit ein paar Ideen von uns dann vollendet. Eine tiefere Bedeutung wie „die vier Arme stehen für…“ kann ich Dir jetzt nicht bieten, aber die Elemente sind einfach Metal!
Haha. Nun ja – es muss ja auch nicht immer ein tieferer Sinn dahinter sein.
Im Inlay kann man einen lateinischen Spruch lesen. Er spielt, wie auch der Titel, auf das Thema ´Zeit´ an. Ist dies der rote Faden des Albums?
Toni: Nein, hier steht das Ästhetische im Vordergrund. Der rote Faden findet sich zwischen den einzelnen Songs aber auch von Album zu Album (was nicht von langer Hand geplant war, aber sich so ergeben hat). Die Musik ist, wie Du auch meintest einfach kompakter und auch aggressiver und hat einfach mehr Bums und das findet man auch inhaltlich. Es geht viel darum, sich selbst in der Welt zu behaupten, sich von Zwängen/Vorgaben/Erwartungen, die Dich niedermachen zu befreien („Deliverance“, „Breaking Free“) zu sich zu stehen („From us to you“), sich von den falschen Freunden zu verabschieden („Out of way“, „Going down your way“), mal auf den Tisch zu hauen, wenn es sein muss („The Mean Hour“) und gewisse Dinge zu akzeptieren, wie sie sind („Die Alone“, „Special Needs“ – wobei der Text hier wirklich künstlerisch/metaphorisch zu verstehen ist, hahaha, das ist jetzt nicht autobiographisch). In den Texten steckt natürlich noch mehr, das war jetzt mal kurz und knackig zusammengefasst.
Wenn man diese „message“ nun mit den Vorgängern vergleicht, zeichnet sich eine Entwicklung ab: Es fing mit Weltschmerz an, geht weiter über den nicht erlaubten Frust („Forbidden Anger“), dass das alles nicht so richtig ist, aber man ja nichts sagen darf und nichts machen kann bis nun zu „Schnauze voll, ich ziehe jetzt mein Ding durch“. Auch wenn ich nicht über konkrete Personen oder mein Leben schreiben will, glaube ich schon, dass so ein bisschen persönliche Entwicklung hindurchschimmert. Aber wie schon gesagt, das ist nicht wörtlich zu nehmen und auch nicht immer allzu ernst. Ich kann nur nicht über süße Katzenbabys, entspannte Tage in der Sonne oder andere fluffige Dinge schreiben, das passt nicht zu der Musik, haha.
Toni: Ja, schon, auch wenn es sich oft von selbst ergibt, wenn man sich mit der Musik befasst und sie besingen will. Auch manche Textpassagen fallen mir plötzlich ein, wenn ich ein Riff höre, eine Hausfrau hat das im Gefühl, wenn ich mal Loriot zitieren darf. Das fällt mir auch fast leichter, als Gesangspassagen zu konzipieren, die gegen die Musik arbeiten, was auch sehr reizvoll ist. Immer mit der Gitarre oder dem Schlagzeug mitzusingen, wäre auf Dauer zu langweilig. Die Gastsänger (bei uns kann einfach keiner singen, hehe, versucht und für schlecht befunden, aber was haben wir gelacht) haben wir auch ganz bewusst so gewählt, wie sie auftreten und ich finde, sie haben ihren Job richtig gut gemacht. Bei „Die Alone“ war die Idee, nicht nur einen stimmlichen Gegenpart zu haben, sondern wir fanden, es war auch ein netter Kontrast, die Frau als Schreihals zu haben und den Mann als richtigen Sänger. Meist ist es ja umgekehrt. Und die Unterstützung bei den Growls war wichtig, weil ich entweder es einfach nicht so gut kann oder nicht genug Klangkörper habe – ich setze auf das Zweite.
Ich finde, wenn man sich eure Alben / eure Songs anhört, fällt auf, dass ihr Wert darauf legt, bei aller Brachialität immer griffige Melodien und vor allem Gesangspassagen einzubauen. Man bekommt immer Bock diverse Textzeilen mitzuschreien („Deliverance“!!!!). Das ist schon so gewollt, oder?
Genau, der einzige Song, mit dem ich mir persönlich etwas schwer tue ist nämlich „What Controls Us“. Wie fallen denn im Allgemeinen die Reaktionen zu dem Experiment mit „Kindergesang“ aus und wie seid ihr auf die Idee dazu gekommen?
Toni: Ha! Das ist mein Lieblingsstück auf der Scheibe, auch wegen des Kindergesangs. Die Reaktionen sind positiv, bisher habe ich nur ein Review gelesen, in der der Gesang kritisiert wurde (ich glaube aber, dass der Schreiber glaube, das ich das singe, hehe), aber sonst bohrt sich das Stück bei den meisten direkt in die Ohrwurm-Synapsen, wenn man das so nennen kann. Das Stück ist sehr aggressiv, wunderbar stimmig konzipiert und der Mädchengesang als Gegensatz/Auflockerung rundet das Ganze ab. Wir haben das Mädel erst ganz zum Schluss ins Studio geholt und ich habe sie zum ersten Mal singen gehört und mir kamen fast die Tränen (ja, auch ein wenig Neid war dabei, haha. Zwar habe ich gehört, dass manche am Anfang gestutzt haben, aber dass ziemlich schnell die „Find ich geil“- Stimmung aufkam.
Ich habe vor kurzem eine Kolumne einer Hardcore-Sängerin gelesen, die sich extrem darüber aufgeregt hat, dass in 90% aller Interviews ihre Rolle als Frau im Bereich „Harter Musik“ thematisiert wird – und sie immer in eine Art Minderheiten-Rolle mit Sonderbehandlung gedrängt wird, die sie gar nicht haben will.
Wie geht es dir dabei? Nervt dich das ständige thematisieren auch? Gehört man als Frau in einer Metal-Band wirklich zu einer Minderheit oder wird man dazu gemacht?
Toni: Sicher sind wir eine Minderheit, weil wir einfach weniger sind. Allerdings habe ich das Gefühl, dass die Kombi Frau – krasser Gesang mehr thematisiert wird als Frau – Gitarre oder Frau – normaler Gesang. Ich finde es schwierig, sich dazu eine Meinung zu bilden. Am Anfang unserer Geschichte (eigentlich schon 1996 als andere Band) war das so gesehen nicht schlecht, weil wir als Anfänger es schon toll fanden, dass man über uns spricht und das lag zumeist an mir. Dann irgendwann wurde es etwas unangenehm, nach Konzerten nur zu hören, wie geil/krass/heftig doch die Stimme wäre, wie das denn geht (frag doch einen Mann, geht genauso, wir singen ja nicht via Mumu und Penis) und die Musik gar nicht interessant war oder angesprochen wurde.
Mittlerweile sehe ich es so, dass ich einfach als Frontschreier eine Sonderrolle einnehme, auch wenn es immer mehr Bands mit Damen am Mic gibt. Das hat sicherlich Nachteile, sei es, dass man zu hören bekommt, dass man ja nur meinetwegen so „bekannt“ sei (die Leute mögen die Musik nicht) oder sei es, dass ganz oft der Vergleich zu anderen Bands (vornehmlich Arch Enemy) gezogen wird. Dann klingen wir entweder wie die oder „ich bin besser“ als Angela Gossow etc. Sowas findet bei männlichen Sängern nicht statt, solange nicht bewusst versucht wird, wie Sänger X zu klingen, oder wenn dann nur beschreibend, also Sänger X klingt ein bisschen wie der von Band X, aber das ist nicht wertend.
Insofern kann ich es schon verstehen, wenn man sich darüber aufregt.
Aber es gibt sicherlich auch Chancen, wenn man die Aufmerksamkeit nutzt und auch ein bisschen darauf eingeht, dass man etwas zu bieten hat, was von anderen Bands abhebt. Die meisten Bands versuchen dies doch auch, sei es durch extreme Musik, Texte, Aussehen, Bühnenshow. Mittlerweile halte ich es für legitim, solche Dinge bewusst einzusetzen. Das heißt noch lange nicht, dass man sich auf diesen Effekt verlässt und das Gesamtpaket aus den Augen lässt.
Jedoch kann ich nicht sagen, dass ich eine Sonderbehandlung erhalte. Ich bekomme kein eigenes Zimmer , wenn wir auswärts übernachten (was ätzend ist, wenn 4/5 der Band schnarcht), helfe auch immer beim Instrumente-schleppen und werde auch sonst wie der Rest der Band behandelt. Meine Band muss allerdings manchmal etwas Zickigkeit ertragen, aber ein bisschen Fraulichkeit muss sein. Dafür verleihe ich gerne meine Haarbürsten, diverse Haarpflegemittel und Labellos!
Ich glaube auch, dass wir als Band mittlerweile selbstbewusst genug sind, über diesem Thema zu stehen, bzw. es sich niemand zu Herzen nimmt, wenn ich der Kracher des Abends bin oder man schnell in die Arch-Enemy-Schiene geschoben wird. Wir wissen, dass es nicht so einfach ist und dass man damit weder uns noch Arch Enemy gerecht wird.
Welches sind denn eure persönlichen, letzten Eintragungen im „Diary About My Nightmares“?
Toni: Moment, ich schau mal, Seite 666 – ok, das ist wirklich zu platt jetzt, hehe. Tja, also auf der to-do-Liste steht, dass wir Konzerte an Land ziehen müssen, t-shirts brauchen wir auch noch. Ach ja, und am 17.08. spielen wir in Braunschweig zusammen mit Illdisposed. Das heisst für die Jungs üben, üben, üben und für mich, Outfit finden, passenden Nagellack auftragen und bloß am Vortag und am Tag des Konzertes nichts Blähendes essen.
Ihr kommt ja aus Braunschweig. Nicht gerade Heavy Metal-Hometown, oder?
Ist es schwer, dort eine Band am Laufen zu halten?
Toni: Nee, Hardcore ist hier mehr beheimatet, aber in Zeiten von Internet etc. ist es fast egal, wo man herkommt. Wir sind ja mittlerweile auf Braunschweig, Hannover und Dänemark aufgeteilt, das ist schwieriger wegen der Koordination und Kommunikation untereinander, aber da kann Braunschweig nichts für.
Aber wir wollen ja in die Große weite Welt, da ist Braunschweig nicht die schlechteste Stadt als Basis.
Vielen Dank! Die letzten Worte gehören euch!
Toni: Erstmal an Dich: Danke für das Interview, das hat Spaß gemacht, auf die Fragen zu antworten und sorry, wenn ich arg ausschweifend wurde.
Und für den Rest: Wer es noch nicht vorhat, kommt alle am 17.08 ins B58. Premiere für Illdisposed und ein freudiges Wiedersehen für uns! Oder besucht uns immerhin auf https://www.facebook.com/OfficialDamnMetal
Lieben Dank und immer schön Rock’nRoll!
(mk)
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