Fitzcarraldo
Verfasst am 11. November 2012 von Michael Klein (Kategorie: Interviews) — 2.175 viewsDie Oper im Dschungel
Über Jahre hinweg hat sich die Aschaffenburger Formation Fitzcarraldo vom undergroundigen Insider-Tipp zum weitläufig Resonanzen erntenden Kritikerliebling entwickelt.
Weil mit „FITZ“ ein neues Kapitel in der Historie der Band aufgeschlagen wird (siehe Review), nutzen wir an dieser Stelle die Gelegenheit für ein Interview mit dem kreativen Kollektiv.
Eine kleine Retrospektive findet ihr HIER.
Metal-Aschaffenburg: Hi! Ich habe mich vor diesem Interview noch mal intensiv durch euer Schaffen gehört. Wenn man das macht, kann man deutlich eine natürliche Entwicklung erkennen. Trotzdem bleibt jeder Song klar als Fitzcarraldo-Song zu erkennen. Gibt es so etwas wie „Das typische Element“, das sich manifestiert, wenn ihr gemeinsam Songs schreibt?
Fizzcarraldo: Das liegt wahrscheinlich daran, dass wir die Menschen sind, die wir sind, welche wiederum die Instrumente spielen, die wir spielen in der Art und Weise mit der Technik und dem Sound, der uns am besten gefällt und wenn wir zusammen kommen, dann klingt das eben so. Es gibt mit Sicherheit immer typische Elemente, die Fitzcarraldo ausmachen und die immer wiederkehren, aber das wird vorher nie festgelegt. Es passiert. Wir sind aber sehr konsequent im Aussortieren, wenn sich einer von uns mit einem Song oder auch nur einem Riff nicht wohl fühlt.
Den größten Schritt in der Evolution der Band markiert in Kürze euer neues Album „FITZ“ – seht ihr das auch so? Welche Entwicklung hat zwischen der letzten LP „Lass sein was ist“ und „FITZ“ innerhalb der Band stattgefunden?
Der Sound hat sich mit Sicherheit verändert, aber im Grunde kann man den Fitz-Sound immer noch sehr gut raus hören, obwohl er uns nicht mehr so schwer emotional erscheint. Nachdem vor einem Jahr Daniel den Bass an Matthias abgegeben hat und die dritten Gitarre übernommen hat, können wir durchaus sagen, dass wir nach einem langen Weg nun endlich angekommen sind. Jedenfalls was die Neu-/Umbesetzung und eine für uns ideale Form der Instrumentierung angeht, die wieder etwas frischen Wind in den Proberaum gebracht hat. Es haben sich neue Möglichkeiten eröffnet und die dritte Gitarre fügte sich auch schnell ein. Bis jetzt gab es noch keine Grabenkämpfe um den besseren Gitarrenlick und wir merken auch selbst, wenn sich etwas „beißt“ oder welche Melodie dem Song besser steht. Da verteilen sich die Positionen im Song ganz automatisch. Das gezielte Songwriting und Texten war ebenso ein großer Schritt. Jeder hat zwar schon auf den letzten Platten grobe Songideen und manchmal auch einen kompletten Song mitgebracht, aber noch nie in dem Ausmaß und so konkret wie es auf „FITZ“ passierte. Früher haben wir zu 90 % die Musik sprechen lassen und kaum inhaltliche Vorgaben geliefert. Durch den Gesang und die damit verbundenen Texte hat sich dies auch etwas geändert, was aber durch die englische Sprache immer noch genug Platz für Interpretationen lässt. Zudem haben wir vor dem finalen Recording alle Songs komplett mikrofoniert eingespielt, um abseits des Proberaumlärms klarer hören zu können, ob die Songs funktionieren oder ob sich die Gitarren in die Quere kommen und falls jemand noch eine Zeile fehlte, konnte man in Ruhe anhand des Demos herumprobieren. Also insgesamt war die Herangehensweise sehr fokussiert und konzentriert.
Wenn ich tippen müsste, würde ich vermuten, dass die meisten Stücke bisher aus Jams entstanden sind und nun mehr an „fertigen“ Ideen geschraubt wurde… ist das so?
Das ist richtig. Die neue Platte hat sicher den geringsten Jam-Faktor aller bisherigen Produktionen. Als Anfang 2011 Matthias ins Boot kam gab es eine längere Diskussion darüber, wo es hingehen soll und wie wir alles angehen werden. Neben kürzeren Tracks und Gesang einigten uns darauf, lieber an konkreten Songs und Ideen zu arbeiten statt zu jamen. Als die einzelnen Songideen dann in den Proberaum mitgebracht wurden, waren sie teilweise schon sehr weit ausgearbeitet, so dass man nur noch seinen Part im Song finden, Verläufe entwickeln oder im besten Fall den Song einstudieren musste. Wenn der Track nur bis zu einem gewissen Punkt feststand, hat man ihn gemeinsam zu Ende geschrieben, wo auch wieder das Jammen ins Spiel kam. Wir haben uns beim Songwriting gegenseitig viel Freiheit gegeben und genommen, wobei es schon wichtig war, den Song weitestgehend so umzusetzen, wie es sich der Urheber gedacht hat. Man konnte aber immer noch Ideen einbringen und Wendungen ausprobieren. Jeder hat ja seinen eigenen Stil am Instrument und es sollte keiner das Gefühl bekommen, etwas covern zu müssen oder so zu spielen, wie man das selbst niemals spielen würde. Die Art von Songwriting war für uns eine neue Erfahrung, man hat nicht alles bis zum letzten Ton ausdiskutiert, sondern sich auch mal mental zurückgestellt und den anderen einfach machen lassen, so nach dem Motto „es ist sein Song – er hat den Plan – er wird schon wissen, wo es hingeht“. Trotz der sehr strukturierten Vorgehensweise muss es einfach fließen und uns allen gefallen. „Together“ war am Ende so ziemlich der einzige Song, der beim Jammen im Proberaum entstanden ist. Aber auch z. B. atmoshärische Parts kann man nicht richtig planen, die muss man jammen.
Fitzcarraldo haben sich auch personell verändert. Wie kam es denn zum Anwachsen eines Quar- zum Quintetts?
Wir wollten schon nach „Herbst“ zum Quintett anwachsen, jedoch hat sich kein passender Kandidat für die Position gefunden. Nach „Lass sein was ist“ war so ein bisschen die Luft raus aus der Band – wir hatten ’ne Art Schreibblockade, konnten uns musikalisch nicht wirklich einigen. Das war der Zeitpunkt, wo wir beschlossen haben, dass wir nur noch mit einem neuem Bassisten weiter machen werden, damit Daniel sich auf Gitarre und Synth konzentrieren kann. Matthias war unser Traumkandidat. Jan hat mit ihm bei analoguedisaster gespielt und seit ein paar Jahren ist er der Fotograf unseres Proberaumkollektivs. Er war also nie wirklich weg, hat sich nur musikalisch etwas rar gemacht und unseren Anfragen, ob er denn bei Fitzcarraldo einsteigen wolle, immer Absagen erteilt. Inzwischen war es schon eine Art Running Gag. Immer wenn wir Matthias gesehen haben wurde er gefragt, ob er denn nicht wieder die Lust am Musizieren hat und jedes Mal hat er sich rausgewunden. Wir wollten schon anfangen mit anderen Kandidaten zu proben, da trafen wir Matthias auf der Party von unserem Gitarristen Ulrich kurz vor Silvester 2010/2011. Und diesmal hat er gesagt, er kann nichts versprechen, aber er probiert’s mal aus. Jetzt ist er nicht mehr aus dem Bandgefüge wegzudenken. Wir alle mögen seinen Style am Bass und wissen, wie er menschlich tickt, was für uns ebenso immens wichtig ist. Zudem sind drei Gitarren einfach geil.
War der Schritt weg von ausladenden Arrangements, hin zu kürzeren Nummern mit mehr Gesang bewusst von euch geplant?
Eigentlich hatten wir nie geplant, den Gesang explizit wegzulassen, es hatte sich auf „Herbst“ so ergeben. Auf „Lass sein was ist“ wollten wir schon singen, aber hatten nicht wirklich Inspiration bzw. fanden wir im Studio die Songs ohne Gesang schon komplett. Auf „FITZ“ war es dann ein bewusster Schritt zu singen und Lyrics zu schreiben. Wir hatten ins Auge gefasst, die Songs kürzer zu halten, aber es war jetzt auch nicht das große Muss. Jedenfalls verspürten wir nach 4:30 Minuten kein Bedürfnis, nochmal 3:00 Minuten dranzuhängen, weil man es erwartet. Wenn man als Band in einer Sparte wie Post-Rock untergebracht wird, erwartet man in den meisten Fällen langatmige Aufbauten und besagte ausladende Arrangements. Wir wollten dem allerdings etwas entgegenwirken und uns von etwaigen Erwartungshaltungen abheben. Aber nicht um absichtlich dagegen zu steuern, sondern auch weil wir es einfach gespürt haben. Da ist die logische Konsequenz neue Songs kürzer zu halten und schneller auf den Punkt zu kommen. Wobei das nicht heißt, dass wir nie wieder lange Stücke schreiben werden.
Ihr musstet für „FITZ“ vermehrt an Gesangslinien arbeiten – war es schwierig für euch eventuelle Arbeitsweisen beim Songwriting zu ändern?
Nein, im Grunde nicht. Das Instrumental stand immer zuerst und evtl. gab es auch schon die ein oder andere Textidee. Nur das ganze dann tight und sinnig zusammenzuführen war Neuland für uns. Die Demos waren dann natürlich auch hilfreich, um Gesangslinien auszuprobieren. Das meiste hat gepasst, der Rest wurde dann im Studio verwirklicht. Allerdings ist das Proben des Gesangs manchmal sehr schwierig, wenn man im Proberaum gegen drei Gitarren ankämpfen muss. Durch den Gesang kommt man fast zwangsläufig zu einem konventionellen Songwriting, spätestens wenn man so was wie einen Refrain einbauen will. Wir hatten schon auf den bisherigen Releases Songs mit instrumentalen Refrains, nur eben ohne Gesang. Bei „FITZ“ haben wir es einfach ausprobiert. In dem Bereich gibt es mit Sicherheit noch Potential. Kann aber auch sein, dass der Gesang wieder komplett verschwindet. Wir machen uns da keinen Druck.
„FITZ“ ist sehr vielseitig. Trotzdem klingt jeder Song für sich organisch – wie lange arbeitet ihr an einem Fitzcarraldo-Stück?
Das ist ganz unterschiedlich. Das kann entweder zwei Proben dauern oder auch ein Jahr in Anspruch nehmen. Das kommt auf den Song an. Wir erkennen relativ früh, ob es sich lohnt an einer Idee zu feilen oder ob man das Konstrukt auseinander nimmt und einzelne Parts für andere Songs oder als Ausgangsmaterial für was komplett Neues nutzt. Das Konzept steht oftmals schnell, nur das Finetuning frisst die meiste Zeit. Manchmal verschwindet das Material auch mal in der Schublade und man nimmt es sich später nochmal vor. Wie gesagt, ganz unterschiedlich. Bei „FITZ“ waren die Songideen wie schon erwähnt sehr weit fortgeschritten oder schon komplett fertig und diesmal hat die Umsetzung und Soundtüftelei die meiste Zeit in Anspruch genommen.
Mein persönlicher Favorit ist das cool arrangierte „All The Things“ – welche Idee steckt denn hinter dem Song?
Den Song hat Daniel komplett angeschleppt. Es sollte ein Song werden, der auf den ersten Blick krumm und kompliziert, aber gleichzeitig einfach und eingängig wirkt. Refrain und die Melodie sind dabei der rote Faden, der erst abwechselnd von Gitarre, Bass sowie Piano verfolgt wird und am Ende mit dem Synth fusioniert. Insgesamt wurde der Song minimalistisch arrangiert, da in dem Fall weniger mehr Wirkung erzeugt hat und ursprünglich sollten zwei Parts daraus werden, so dass der Song nach dem Elektronikpart erstmal endet und später wieder als Reprise mit Gitarrenbreitseite zurückkommt. Aber zusammen hat es einfach mehr gekickt. Da wir uns im Textschreiben noch ziemlich schwer tun und es zwischen dem Refrain viel Platz auszufüllen gab, hatten wir die Idee in Richtung Spoken Word zu gehen. Jan brachte dann dieses Gebet mit, was inhaltlich super reinpasste und von einer amerikanischen Freundin netterweise eingesprochen wurde. Ursprünglich wollten wir mehrere Stimmen recorden und sich in den Versen abwechseln lassen, beließen es aber dann bei Julies Version, da ihre Stimme für den Job perfekt war. Auch wenn sie nicht so schnell „a man becomen“ wird.
„FITZ“ wird nur als limitierte 12inch-LP und als Download erscheinen. Warum habt ihr euch denn gegen eine CD entschieden?
Grundsätzlich verschließen wir uns keiner Veröffentlichungsform und probieren gerne herum. Bisher gab es alles von uns auf CD und als Download, ausgenommen „Hansestadt“, das nur als MP3 erschien. Da wir selbst Vinyl sammeln war es schon immer unser Wunsch, Fitzcarraldo auch auf Vinyl rauszubringen und bei „FITZ“ haben wir sämtliche Vernunft und finanzielle Bedenken über Bord geworfen und es durchgezogen. Wir haben uns quasi nicht GEGEN die CD sonder FÜR eine Vinyl entschieden. Dazu reizt uns der Gedanke des Exklusiven. Veröffentlichungen wie die „Oldenburg“-EP oder „FITZ“ wird es nur 100-mal auf einem offiziellen Tonträger geben und wenn dann noch der Flair einer Schallplatte ins Spiel kommt, dann finden wir das einfach gut.
Erzählt doch kurz etwas über das Artwork und das Booklet der LP…
Das Artwork der Platte hat Uli in Handarbeit mit Schablonen und Schere entworfen. Es sollte alles einfach mal schlicht und nicht so künstlerisch wirken. Matthias ist passionierter Fotograf und hat während den Recording-Sessions viel fotografiert. Es wäre schade gewesen, das alles auf irgendwelchen Festplatten vergammeln zu lassen. Deshalb haben wir beschlossen unsere Favorites in das Booklet zur Platte zu packen. Das Booklet ist sozusagen eine Art Making-of-Foto-Dokumentation und wie das Cover in schwarz-weiß gehalten. Es bringt den Spirit der Sessions sehr gut rüber und gesellt sich ebenso zum DIY-Gedanken wie das Recording, dass wir dieses Mal auch komplett in die Hand genommen haben.
Gibt es vielleicht – wie bei „Lass sein was ist“ der Fall – wieder Stücke, die konzeptionell nicht auf „FITZ“ gepasst haben und ggf. als Nachlese separat veröffentlicht werden?
Nein. Jeder wird so ein paar einzelne Songfetzen in petto haben, aber unser Archiv ist leer und es wurde bei den „FITZ“-Sessions auch nicht mehr aufgenommen. Wir sind aber dazu angehalten (in Worten: wir sind dazu angehalten), bereits an neuem Material zu arbeiten.
Euer Bandname stammt vom gleichnamigen 1981er-Kinski-Film, in dem der Protagonist, ein Exzentriker, im Dschungel ein Opernhaus bauen möchte und dafür Unmögliches versucht. Wann habt ihr denn zuletzt etwas scheinbar Unmögliches versucht?
Auf Tour länger als Uli wach zu bleiben. Das ist schon fast unmöglich.
Vielen Dank für das Interview!
Kommt alle zur Release-Party am 17.11. im JuKuZ!
(mk)
Tags: FITZ, Fitzcarraldo
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